Zum Abschied von Maria Potrzeba
In der Nacht zum 25.2.2017 ist unsere Freundin Maria Potrzeba gestorben. Am 1. April wäre sie 90 Jahre alt geworden. Nach einem Oberschenkelbruch im Januar setzte sie alle Kräfte daran, bis zu ihrem Geburtstag wieder auf den Beinen zu sein.
Ich hatte sie einmal gefragt, wann und wie sie Kontakt zur Lagergemeinschaft bekommen hatte, sie wusste es nicht mehr. Aber zum Glück gab es diese Verbindung, hinter ihrem Namen damals der Vermerk, dass sie im KZ Uckermark inhaftiert war. So konnten wir sie zur ersten Befreiungsfeier auf dem Gelände des ehemaligen KZ Uckermark 2005 einladen. Auch wenn wir uns damals verfehlt haben (es war eine Befreiungsfeier, zu der noch viele Überlebende kommen konnten und eingeladen waren zu kommen, so dass es schwer war, jemanden zu treffen, den mensch nicht kannte); das war der Beginn unserer Freundschaft mit Maria. Zunächst Briefe und Telefonate, dann kamen auch bald Besuche in Herne dazu.
Maria hat lange Zeit über ihre Geschichte geschwiegen:
Sie wurde im Sommer 1942 als Vierzehnjährige von der Gestapo verhört und gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben, dass sie eine sexuelle Beziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter habe. Sie wurde von zu Hause abgeholt und über verschiedene Erziehungsheime ins Jugendkonzentrationslager Uckermark deportiert. Die Demütigungen, Schläge, die Bestrafungen und der Hunger und viele weitere schreckliche Erlebnisse haben ihr Leben lang ihre Erinnerungen und ihre Träume beherrscht.
Es ist der Historikerin Gisela Schwarze aus Münster zu verdanken, dass Maria, auch öffentlich, 1995 begann, über ihre Geschichte und Verfolgung zu sprechen. Frau Schwarze erkämpfte für Maria und einige ihrer Freundinnen aus dem Jugendkonzentrationslager eine einmalige Entschädigungszahlung von 5000 DM und veröffentlichte deren Verfolgungsgeschichten. Sie wurde eine gute Freundin und Weggefährtin für sie.
Seit 2005 sprach Maria auch mit uns aus der Uckermarkinitiative über ihre Erlebnisse. Wir haben ihr viel zu verdanken. Auch wenn Maria aus gesundheitlichen Gründen nie an den Befreiungsfeiern oder an den Bau- und Begegnungscamps teilnehmen konnte, es gab immer Grüße oder einen Brief von ihr. Bei jeder Befreiungsfeier wurde etwas von ihr verlesen. Ihr lag besonders am Herzen, dass das Jugendkonzentrationslager als das benannt wird, was es war: ein Konzentrationslager. Es verletzte sie und machte sie wütend, wenn über das KZ Uckermark als Jugendschutzlager gesprochen wurde. „Wir wurden nicht geschützt.“ sagte sie und entlarvte die Bezeichnung als irreführend und verharmlosend. Immer wieder wies sie auch darauf hin, dass sie im Herbst 1944 mit Freundinnen auf dem Lagergelände einen Graben ausheben mussten und sie wünschte sich, dass dies erforscht wird.
Für Maria war das Leid, wie für alle als sogenannt „asozial“ Verfolgten, 1945 nicht zu Ende. Das was auf staatlicher Ebene das Bundesentschädigungsgesetz definierte, das nämlich Menschen, die als sogenannt „asozial“ verfolgt wurden, kein Recht auf Rehabilitation und Entschädigung bekamen, musste sie in ihrem Heimatort ganz konkret erfahren: Sie wurde nach ihrer Rückkehr weiter ausgegrenzt und als „Polenliebchen“ beschimpft. Die Stigmatisierung betrifft auch ihre Familienangehörigen, bis heute.
Als ich sie vor drei Jahren fragte, ob sie sich vorstellen könne, dass wir einen Film über sie machen, stimmte sie nur zögernd zu. Sie ahnte wohl schon, wie retraumatisierend die Filmarbeiten für sie werden würden. Nach den ersten Dreharbeiten entschied sie, nicht weiter mitzumachen. Und dann ließ es ihr doch keine Ruhe. Nach vielen vielen Gesprächen, sie mit anderen, wir mit anderen, wir miteinander fanden wir einen Weg, wie sie den Film zu ihrem Projekt machen konnte, mit all ihrer Energie, ihrem Ideenreichtum, ihrem Witz und Mut führte sie von da an mit Regie. Schließlich fasste sie den Mut, in ihr Heimatdorf zu fahren und den Gedenkstein für die beiden ermordeten polnischen Zwangsarbeiter anzusehen.
Die Filmarbeiten bedeuteten für Maria viele schmerzhafte Situationen, Erinnerungen und Auseinandersetzungen, und auch gab es Momente, in denen wir herzhaft gelacht haben.Und immer wurden wir umsorgt und es gab etwas Leckeres zu essen. Das war wichtig für sie, andere zu umsorgen.
Der Film bedeutete auch, mit ihren Angehörigen zusammenzukommen und das erste Mal in größerer Runde über ihre Geschichte zu sprechen. Wir sind froh, dass Maria den fertigen Film noch sehen konnte und Rückmeldungen nach verschiedenen Vorführungen bekam. Maria war froh, dass es den Film gab und sie war stolz darauf, zu sprechen. Es war ihr immer ein Anliegen, dass die Geschichte und die verfolgten Menschen nicht vergessen werden. So wie sie schon als Vierzehnjährige nach eigenen menschlichen Maßstäben handelte und die Zwangsarbeiter genauso als Menschen ansah wie andere auch, hat sie ihr Leben lang vertreten, dass allen Menschen, egal woher sie kommen oder wie sie sind, Menschlichkeit und Respekt gebührt.
Danke Maria, für all dein Vertrauen, deinen Mut, deine Beharrlichkeit, deine Wärme…!
Wir werden dich vermissen!
Auf dem Gelände des ehemaligen KZ Uckermark steht hinter dem Gedenkstein eine Linde. Linden sind Marias Lieblingsbäume. Dieser Baum ist zum Gedenken an Maria und ihre Freundinnen und alle Inhaftierten im KZ Uckermark gepflanzt worden. Jedes Jahr bekam sie Fotos, um zu sehen, wie der Baum wächst. Jetzt wird es für mich einer der Orte sein, an dem ich für sie eine Blume hinlege und mich an sie erinnere.
Gute Reise und viel Leichtigkeit ohne die Schwere der Erinnerungen wünsche ich dir.
Heike Rode