Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leidensgenossinnen und Leidensgenossen,
liebe Heike, lieber Justin, lieber Tom,
Vorab möchte ich mich bei Euch bedanken, ihr habt mit ganz großem Einfühlungsvermögen mit dem Film geschafft, dass ich in meinem hohen Alter für mich und meine Familie etwas Genugtuung erfahren habe.Denn es wird mit großer Wahrscheinlichkeit noch viele solcher Schicksale wie ich es habe erfahren müssen, in jener Zeit gegeben haben.
Leider kann ich an diesem Treffen, das mir soviel bedeutet hätte, nicht teilnehmen.
Aber das Trauma meines jungen Lebens verfolgt mich bis heute, und je näher der Termin kam, löste er in mir extreme Ängste aus.
Meine Nichte Barbara Kösters-Pinto wird in meinem Namen eine kleine Ansprache halten.
1943 mit 15 Jahren stand ich am Tor vor einer Mauer aus Stacheldraht an diesem schrecklichen Ort, schaute hinüber in eine verriegelte Welt, sah Maschinenpistolen, krumplige laute Marschstiefel und hörte ein herzloses Schweigen und leises Weinen.
Stumm wie die steinernen Rosse, die ihren Weg nicht mehr wissen, schien mir das Gähnen der Zeit vor den Tiefen eines Abgrunds, der Unmesnchlichkeit.
Da sah ich im Niemandsland zwischen mir und drüben ein Tier, ein kleines Kaninchen, das Blumen rumpfte und fraß.
Dass es sie mit Behagen fraß war ganz natürlich, nur die Mauer nicht.
Dass das Tier Mauern, Gewehre und Niemandsland nicht respektierte, berührte mich wie Scherz und Hohn vor der Torheit der Welt, die sich in Hass und Misstrauen, zum Fluch für die Zukunft der Menschen so grausam verirrte..
Liebe Anwesende, ich wollte heute zum letzten Mal diese Stätte des Grauens besuchen, um mich zu verabschieden, verabschieden von meinem Martyrium, das ich hier an dieser Stelle in menem jungen Leben habe erfahren müssen, denn es hat mein ganzes Leben bestimmt.
Aber es ging nicht. Ich bitte um Ihr Verständnis.
An diesen grausamen Ort wurde ich mit 15 Jahren eingeliefert, unter Schlägen und seelischer Folter musste ich ein Geständnis unterschreiben, das zwei jungen Männern aus Polen das Leben kostete.
Heute muss ich oft hören „Maria, du musst das vergessen.“
Dieses Trauma verfolgt mich in vielen schlaflosen Nächten und oft frage ich mich und auch Sie: darf man ein Unrecht vergessen, wo doch heute wieder Fremdenhass und Naziparolen laut werden.
Liebe Gäste, ich habe in meinem hohen Alter Angst um unsere Gesellschaft, darum bitte ich alle jungen Menschen: Lasst nicht zu, dass sich so etwas Schreckliches weiderholt!
Hier an dieser Stelle möchte ich die im letzten Jahr verstorbene Historikerin Dr. Gisela Schwarze aus Münster erwähnen und danken dafür, dass sie mir in den letzten zwei Jahrzehnten eine gute Freundin war und sich für die Aufarbeitung der Geschichte der Geächteten eingesetzt hat.
Ich danke Ihnen.
Maria Potrzeba